Titelbild; Der Arme mit seiner Mutter und dem Wandersmann vor seiner Hütte

Ob wahr oder nicht - es lebte einst ein armer Bauer mit seiner alten Mutter in großer Not.

Eines schönen Tages sagte der Sohn: "Mutter, ich halte dieses Leben nicht mehr aus. Ich will in die Welt gehen, entweder ich finde etwas, oder ich verliere etwas. Jedenfalls wird es besser sein."

"Mir recht", antwortete die Mutter.

Er stand auf und ging. Er ging und wußte selber nicht, wohin. Als er müde wurde, setzte er sich an den Weg, um zu ruhen. Da sah er einen Wandersmann daherkommen.

"Sei mir gegrüßt", sagte der Wandersmann.

"Sei auch du gegrüßt", sagte der Bauer.

"Warum bist du so traurig?" fragte der Wandersmann.

"Wie sollte ich nicht traurig sein!" antwortete der Bauer. "Setz dich her zu mir, so erzähl ich es dir."

Der Wandersmann setzte sich und der Arme erzählte ihm, wie er gelebt und warum er von zu Hause fortgegangen war.

"Ich habe eine alte Mutter, sonst niemand. Sie hat mich gehenlassen und so wandere ich umher und suche. Finde ich etwas, ist es gut; finde ich nichts, kehre ich nicht lebendig heim."

Darauf sagte der Wandersmann: "Nun denn, wenn es so ist, will ich dir etwas erzählen; aber wisse, das ist eine schwere Aufgabe, nicht jeder vermag sie auszuführen."

"Erzähl", bat der Arme.

Der Wandersmann erzählte: "Geh immer geradeaus. Hast du eine Meile zurückgelegt, wirst du einen hohen Felsen vor dir sehen. Dieser Felsen öffnet sich einmal in sieben Jahren. Geh an den Felsen heran, bleib stehen und warte. Es ist jetzt soweit, er muß sich bald öffnen. Sowie er sich öffnet, geh schnell hinein. Es hängt eine Kappe darin. Ergreife sie und komm eilends wieder heraus. Hüte dich jedoch, etwas anderes mitzunehmen, sonst schließt sich der Felsen und du bleibst sieben Jahre darin eingeschlossen."

Der Arme bedankte sich bei dem Wandersmann und machte sich auf den Weg zu dem Felsen. Nachdem er eine Meile zurückgelegt hatte, sah er wirklich einen Felsen vor sich. Und er dachte: 'Sicher ist das der Felsen.' Er trat heran und wartete, was wohl kommen würde.

Da öffnete sich plötzlich der Felsen. Der Arme stürzte hinein, gewahrte die Kappe, packte sie und riß sie von der Wand. Dann schaute er um sich. Was gab es da nicht alles! Die Augen gingen ihm über. Da erblickte er Weintrauben. Was waren das für Trauben! Der Arme war hungrig, hatte schon viele Tage nichts gegessen. Er konnte den Blick nicht von den Weintrauben wenden. Der Arme konnte nicht widerstehen.

'Ach, komme, was mag, ich will nicht Hungers sterben!' Er streckte seine Hand aus und pflückte eine Traube. Kaum hatte er sie abgepflückt, schoß sich der Felsen und er blieb im Dunkeln allein.

Der Arme sitzt eingeschlossen unter den Trauben

Sieben Jahre lang öffnete sich der Felsen nicht mehr; sieben Jahre lang saß der Arme allein im Dunkeln. Er harrte aber aus. Genau nach sieben Jahren öffnete sich der Felsen. Der Arme stürzte vor, kam auch glücklich hinaus und der Felsen schloß sich wieder.

Der Arme setzte sich am Felsen nieder, um zu verschnaufen. Da saß er nun und wußte nicht, was er tun sollte, wußte nicht, welche Kraft die Kappe barg. Er legte sich in den Schatten, schob sich die Kappe unter den Kopf und dachte: 'Ach, eine Kappe hätte ich, der Kopf liegt weich, fehlt nur ein Teppich zum Unterbreiten, da könnte ich mich rechtschaffen ausschlafen.'

Kaum gedacht, hatte er auch schon, weiß nicht woher, einen Teppich. Er breitete ihn aus, legte sich darauf und sagte so vor sich hin: "Wie mag's jetzt meiner Mutter gehen? Hab sie allein gelassen, die Arme. Fein wär's, jetzt daheim zu sein, in ihrer Nähe."

Kaum gesagt, erhob sich der Teppich mitsamt dem Armen und seiner Kappe; flog geradenwegs durch die Luft und ließ sich am Haus der Mutter nieder.

Da begriff der Arme, was für eine Kraft seine Kappe barg. "Das nenn ich mir eine Zauberkappe" sagte er. "Nun aber, liebe Kappe, wenn du kannst, baue mir hier im Hof ein Haus, so schön, dass selbst der König kein besseres hat."

Kaum hatte er das gesagt, erhob sich im Hof ein richtiges Schloß, wie es kein besseres geben konnte. Der Arme ging in das Schloß, legte sich nieder und ließ es sich wohl sein.

Im Hof erhebt sich ein richtiges Schloss

Am nächsten Morgen schaute die Mutter des Armen aus ihrer Hütte und sah im Hof ein Haus stehen, ein richtiges Schloß.

Da begann die Alte zu weinen. "Wer hat denn in meinen Hof ein Haus hingestellt und mir den ganzen Platz besetzt?"

Die Nachbarn wunderten sich. Wie war es möglich, in einer einzigen Nacht ein solches Schloß zu bauen?

Der Arme erhob sich, trat heraus und ging zu seiner Mutter. "Warum weinst du, Mutter?"

"Wie sollte ich nicht weinen, Söhnchen", antwortete die Alte. "Da hat jemand in unseren Hof ein Haus hingestellt."

"Gräm dich nicht, Mutter", sagte der Sohn, "das ist unser Haus."

Sie gingen in das Haus und lebten darin, ohne Not zu kennen.

Am dritten Tag sagte der Sohn: "Mutter, ich will dir etwas anvertrauen."

"Was denn, Söhnchen?" fragte die Mutter.

"Hör zu. Unser König hat eine schöne Tochter. Geh hin zu ihm und sag: 'Ich habe einen Sohn.' Du sollst mich weder loben noch schlecht von mir reden. Sag nur, daß ich ihn bitte, mir seine Tochter zur Frau zu geben."

"Ich geh nicht", sagte die Mutter. "Wo denkst du hin, der König bringt mich dafür um, läßt mir den Kopf abschlagen."

Der Sohn aber ließ ihr keine Ruhe. "Geh hin, ja, geh hin!"

Die Mutter dachte: 'Nun, ich will gehen; mag kommen, was will. Bringt er mich um, so bringt er mich eben um; Schlimmeres kann mir nicht widerfahren.' Sie nahm Abschied von ihrem Sohn und machte sich auf den Weg. Sie kam zum Schloß.

Die Mutter vor dem Schloss des Königs

Die Wachen des Königs schauten heraus, sahen eine Alte vor dem Schloß auf und ab gehen und fragten: "Was suchst du hier, Mutter?"

"Ich möchte den König sehen", sagte die Alte.

Man führte sie zum König.

Der König fragte: "Was begehrst du? Was führt dich zu mir?"

"Ich habe ein Anliegen", sagte die Alte. "Mein Sohn erbittet deine Tochter zur Frau."

"Bist du von Sinnen! Was hast du denn für einen Sohn, daß meine Tochter, die Tochter des Königs, seine Frau werden könnte?"

"Dennoch bitte ich Euch, gebt sie uns!" wiederholte die Alte immer wieder.

"Nun gut, geh und sage deinem Sohn: Wenn er so tüchtig ist, soll er zu beiden Seiten der Straße von meinem Schloß bis zu eurer Behausung Gärten anlegen."

"Gut", sagte die Alte.

Sie ging und kam zum Sohn.

"Was hat der König gesagt?" fragte der Sohn.

Die Mutter erzählte: "Erst war er zornig, dann aber sagte er, er soll, wenn er so tüchtig ist, längs der Straße von seinem Haus bis zu meinem Schloß Gärten anlegen."

"Wenn's weiter nichts ist", sagte der Sohn, "geh nur und ruh dich aus. Ich werde das schon besorgen."

Er stand auf, nahm seine Kappe und sagte: "Nun, meine Kappe, wenn du kannst, so lege zu beiden Seiten der Straße von meinem Haus bis zum Königsschloß Gärten an; bis zum Morgen aber muß alles fertig sein!"

Der Morgen kam. Der König schaute zum Fenster hinaus. Herrliche Gärten breiteten sich zu heiden Seiten der Straße!

Der Sohn aber sagte zur Mutter: "Geh, frag den König: 'Kann nun Eure Tochter meines Sohnes Frau werden?'"

Die Alte ging zum König. "Nun", sagte sie, "kann deine Tochter jetzt meinen Sohn heiraten?"

Der König antwortete: "Geh, sag deinem Sohn, wenn er so ein tüchtiger Bursche ist, soll er bis zum Morgen den Weg von seinem Haus bis zu meinem Schloß mit purem Marmor auslegen."

Die Alte ging zum Sohn.

"Was hat er gesagt?" fragte der Sohn.

Die Mutter erzählte, was der König verlangte.

Der Sohn sagte zu seiner Kappe: "Nun, meine Kappe, wenn du kannst, lege den Weg von unserem Haus bis zum Königsschloß mit purem Marmor aus."

Als er am nächsten Morgen zum Fenster hinausschaute, war der Weg, so weit er sehen konnte, mit Marmor ausgelegt.

Wieder schickte der Sohn seine Mutter zum König.

Sie ging hin und sagte: "Kannst du nun deine Tochter meinem Sohn geben?"

Der König erwiderte: "Dein Sohn kann wirklich viel. Geh und sage ihm, wenn er es vermag, diesen Marmorweg von seinem Hause bis zu meinem Schloß mit Teppichen zu belegen, so soll er kommen und meine Tochter holen."

Die Mutter kam heim und berichtete dem Sohn, was der König verlangte.

"Es ist gut", sagte der Sohn, "geh nur schlafen; alles Weitere laß meine Sorge sein."

Er erhob sich, nahm seine Kappe und sagte: "Nun, meine Kappe, wenn du kannst, belege den Weg von meinem Haus bis zum Königsschloß mit Teppichen."

Am nächsten Morgen stand der Sohn auf, schaute hinaus; da war der ganze Weg mit Teppichen ausgelegt. Er machte sich fertig, nahm Gefolgsleute mit und fuhr zum König, um die Braut zu holen.

Sie kamen an, und der König gab ihm seine Tochter zur Frau. Die Hochzeit wurde gefeiert. Am nächsten Morgen aber sagte der Schwiegersohn zum König: "Laß uns jetzt zu mir fahren, und nimm all deine Diener und dein ganzes Heer mit."

Der König dachte: 'Wie sollte er wohl mein Heer satt machen können? Aber sei's, wie's sei, ich fahre hin und schau es mir an.'

Der König fuhr los, und sein ganzes Heer begleitete ihn. Sie kamen an, das Haus war wirklich schön wie ein Schloß. Sie traten ein, drinnen aber standen lauter leere Tische. Weder Speisen noch Getränke waren aufgetragen.

Der Schwiegersohn des Königs nahm seine Kappe und sagte: "Nun, meine Kappe, wenn du kannst, bringe auf diese Tische Speisen und Getränke, wie sie dem König gebühren."

Auf einmal waren Wein da und Speisen, wie man sie sich nur wünschen konnte, und von allem zur Genüge. Drei Tage feierte der König mit seinem Gefolge, am vierten Tage nahm er Abschied und fuhr in sein Schloß. Mann und Frau blieben mit ihrer alten Mutter zurück und lebten miteinander, ohne Not zu kennen.

Eines Tages wollte der Mann auf die Jagd gehen und sagte zu seiner Frau: "Ich geh auf die Jagd, du bleibst mit der Mutter solange zu Hause, ich kehre bald zurück." Er stand auf, nahm seine Flinte und ging auf die Jagd.

Der Wandersmann aber, der einst den Armen belehrt hatte, wie die Kappe zu erlangen war, erfuhr von dem sorglosen Leben des Armen und es packte ihn der Neid. Er dachte: 'Wie könnte ich der Kappe wohl habhaft werden?'

Er ging hin, kaufte eine neue, prächtige Kappe, begab sich vor das Haus und rief: "Neue Kappen zu verkaufen gegen alte Kappen. Wer tauscht seine alte Kappe gegen eine neue ?"

Die Frau aber, die Tochter des Königs, wußte nicht, was für eine Kraft in ihres Mannes Kappe verborgen war, und sie dachte bei sich: 'Ich will doch die alte Kappe gegen eine neue vertauschen und meinem Manne damit eine Freude machen.'

Sie rief dem Wandersmann zu: "Halt, halt doch, komm einmal her!"

Der ging hin, sie brachte die Zauberkappe heraus und sagte: "Gebt Ihr mir dafür eine neue?"

"Nun ja", sagte der. "Sie ist es zwar nicht wert, aber meinetwegen!"

Sie freute sich, nahm die neue Kappe und ging ins Haus zurück. Der Wandersmann aber hielt die Zauberkappe fest in Händen und sagte: "Jetzt, Kappe, wenn du kannst, trage dieses ganze Haus mit der Frau und auch mich selber recht weit weg von hier."

Kaum hatte er das gesagt, erhob sich das Haus und flog dorthin, wohin er es haben wollte. Zurück blieb nur die alte Mutter in ihrer alten Hütte. Und sie lebte darin in der gleichen Not wie zuvor.

Der Sohn kam von der Jagd zurück und fand weder Haus noch Frau! Der Arme weinte und klagte. Dann raffte er sich auf, nahm seine Flinte und zog aus, das Verlorene zu suchen. Seine schöne Frau aber weinte und grämte sich um ihren Mann.

Der Mann suchte und suchte und kam schließlich in ein Dorf und sah dort sein Haus stehen. Er ging näher, setzte sich am Haus nieder und weinte. Die Frau schaute heraus, erblickte den Mann, fing zu weinen und zu wehklagen an.

Der Mann sagte: "Geh, hol meine alte Kappe und wirf sie mir zu."

Sie ging, holte die Kappe und warf sie ihrem Manne zu. Der ergriff die Kappe, trat in das Haus und sprach: "Nun, meine Kappe, ich kenne deine Kraft, hebe dieses Haus hoch und trage es zurück an die alte Stelle in meinem Hof." Das war für die Zauberkappe nicht schwer. Im Augenblick flog das Haus hinüber und stand wie vordem im Hof vor der Hütte der Alten. Und Mann und Frau waren in dem Haus, der Bösewicht aber lag da und schlief ahnungslos. Der Mann weckte ihn und machte ihm den Garaus.

Die Mutter aber freute sich, als sie den Sohn mit seiner Frau wieder bei sich im Hof fand. Und sie lebten fortan ein glückliches Leben.

Der Arme fliegt mit seinem Schloss nach Hause