Titelbild; Der König Lachenicht auf seinem Thron

Das Märchen
vom König Lachenicht

Es lebte einmal ein König. Den hatte noch nie jemand lachen sehen, und deshalb nannte man ihn König Lachenicht. Der König hatte drei Söhne, die hießen nicht anders als die Söhne des Königs Lachenicht.

Eines Tages sagten die Söhne:

"Wollen wir nicht zu unserem Vater gehen und ihn fragen, warum er Lachenicht heißt und wir die Söhne des Königs Lachenicht genannt werden?"

Sie taten es. Als erster ging der älteste Sohn zu seinem Vater. Der reichte ihm ein Glas Wein und sagte:

"Trink den Wein aus, dann werde ich dir einen Schlag geben; hältst du dem stand, will ich dir antworten."

Der älteste Sohn trank den Wein, der Vater holte aus und gab ihm einen Schlag. Davon drehte sich der Sohn wie ein Kreisel herum.

"Geh, Antwort bekommst du später", sagte der Vater.

Der zweite Sohn trat ein.

"Wer bist du?" fragte der König.

"Ich bin dein Sohn."

"Was willst du?"

"Alle nennen uns die Söhne des Königs Lachenicht. Warum heißt du Lachenicht?"

"Trink diesen Wein aus, dann antworte ich dir."

Der zweite Sohn trank. Der Vater gab ihm einen Schlag, und auch der zweite Sohn drehte sich wie ein Kreisel herum.

"Geh, Antwort bekommst du später!" sagte der König.

Der jüngste Sohn trat ein.

"Wer bist du?" fragte der König.

"Ich bin der jüngste Sohn des Königs Lachenicht."

"Was willst du?"

"Alle nennen uns die Söhne des Königs Lachenicht. Warum heißt du Lachenicht?"
Der König reichte ihm ein Glas Wein und sagte:
"Trink aus, dann gebe ich dir einen Schlag, danach wirst du es erfahren."
Der jüngste Sohn nahm das Glas und trank.
Der König holte aus und gab ihm einen Schlag, vermochte ihn aber nicht von der Stelle zu rücken.

"Schlag noch einmal", verlangte der Sohn, "aber sag es mir!" König Lachenicht schlug ein zweites Mal, rückte den Sohn aber auch das zweitemal nicht von der Stelle.

"Noch einen Schlag, aber sag es mir!" bat der Sohn.

Ein drittes Mal schlug der Vater, aber auch das drittemal vermochte er nicht den Sohn von der Stelle zu rücken. Da sagte er:
"Ziehe aus und bringe mir Granatäpfel, so groß wie mein Kopf."
Darauf sagte der Vater ihm, wo er sie finden werde, und sprach zum Schluß:
"Bringst du die Granatäpfel, wirst du alles über mich erfahren."
Der jüngste Sohn ging hinaus zu seinen Brüdern, die fragten ihn:

"Was hat er dir gesagt?"

"Er hat gesagt, bringe mir Granatäpfel, so groß wie mein Kopf, und du wirst alles über mich erfahren."

Die drei Brüder machten sich auf den Weg. Über kurz oder lang erreichten sie ein weites, offenes Feld und auf dem Feld einen Kreuzweg. Auf dem Kreuzweg stand ein Stein und auf dem Stein eine Inschrift: Gehst du nach links, kehrst du zurück, gehst du nach rechts, kehrst du auch zurück, gehst du aber geradeaus, kehrst du nicht zurück.

Der älteste Bruder ging nach links. Der zweite ging nach rechts. Der jüngste aber ging geradeaus.

Er wanderte und wanderte und erspähte in der Ferne ein schwarzes Heer, ein ganzes Heer zu Pferde. Ich bin verloren, dachte der jüngste Bruder, ich werde wohl sterben müssen! Er ging aber auf das schwarze Heer zu.

Wie er näher kam, sah er, das Heer war versteinert.

Er ging weiter. Da erblickte er in der Ferne ein rotes Heer. Er erschrak und dachte: Diesmal bin ich gewiß verloren. Er ging aber darauf zu. Wie er heran kam, sah er, auch das rote Heer war versteinert.

Er ging weiter.

Er ging und ging und erblickte ein weißes Heer, und auch das weiße Heer war versteinert.

Er wanderte und wanderte und gelangte endlich zu einem Turm, dessen Zinne bis in den Himmel ragte. Vor dem Eingang stand ein Granatapfelbaum.

An dem Baum hingen fünf Granatäpfel, ein jeder so groß wie ein Kopf.

Der Sohn des Königs Lachenicht trat zu dem Baum und pflückte sich Granatäpfel; einen aß er auf, drei steckte er ein, einen aber ließ er am Baum hängen.

Da schaute eine Frau aus dem Turm und rief:

"Oh, Söhnchen, wie gleichst du doch meinem Sohn! Was führt dich hierher?Gib acht, daß dich der Ekle Dew nicht frißt!"

"Mag kommen, was will, ich muß hinauf", sagte der Sohn des Königs Lachenicht.

Da flocht die Frau ihr Haar und ließ die Zöpfe hinunterhängen.

Der Königssohn sprang hoch, bekam die Zöpfe zu fassen und kletterte daran empor. Die Frau versteckte ihn, damit ihn der Dew nicht tötete, wenn er kam.

Der Sohn des Königs Lachenicht bat die Frau, sie möge fragen, wo der Dew seine Seele habe.

Der Dew kam.

"Riecht es hier nicht nach Adams Sohn?" fragte er.

"Nein", antwortete die Frau, "wie sollte ein Sohn Adams hier heraufkommen? Es ist nicht anders, du wirst den Geruch selber mitgebracht haben."

Sie umarmte und herzte den Eklen Dew und fragte dabei:

"Ich liebe dich gar so sehr, ich kann ohne dich nicht leben, sag mir doch, wo hast du deine Seele?"

"Meine Seele ist im Reisigbesen", antwortete der Ekle Dew.

Sobald der Ekle Dew wieder zur Jagd gegangen war, nahm die Frau den Reisigbesen, schmückte ihn, wickelte ihn in prächtigen Brokat und allerlei Tücher, trug ihn zum Lager und bettete ihn darauf.
Als der Ekle Dew nach Hause kam und den Reisigbesen sah, lachte er und sagte:
"Ich habe nur gescherzt, meine Seele ist nicht im Reisigbesen, sie ist in jenem Pfosten."

Kaum war der Dew wieder zur Jagd gegangen, erhob sich die Frau, scheuerte und putzte den Pfosten blank, schmückte ihn, so gut sie konnte, dann umarmte und herzte sie ihn.

Der Dew kam heim.

"Was tust du da?" fragte er.

"Ich liebkose deine Seele."

"Närrisch bist du", lachte der Dew. "Wie werd ich dir schon meine Seele geben? Weißt du, wo meine Seele ist? An einem bestimmten Ort lebt ein Eber. Im Kopf des Ebers befindet sich ein Kästchen. In dem Kästchen sind drei kleine Vögel: ein roter - das ist meine Kraft, ein weißer - das ist mein Verstand, und ein schwarzer - das ist meine Seele."

"Gibt es jemand auf der Welt, der diesen Eber zu töten vermag?"

"Nichts und niemand vermag diesen Eber zu töten, außer mein Pfeil."

Kaum war der Dew zur Jagd gegangen, gab die Frau seinen Pfeil dem Sohn des Königs Lachenicht. Er nahm zwei Brote und ging zu einem Schmied.
Dieser schmiedete ihm aus fünf Barren Eisen einen Bogen. Der Jüngling spannte ihn und verbog ihn. Der Schmied schmiedete einen Bogen aus zehn Barren Eisen, doch auch den verbog der Jüngling. Da schmiedete der Schmied einen Bogen aus zwanzig Barren Eisen. Als der Jüngling den spannte, hielt er stand und verbog sich nicht.

Der Jüngling hing sich den Bogen über die Schulter und zog aus, den Eber zu suchen.
Er ging und ging und kam an ein Wasser, das dem Eber als Tränke diente.
An dem Wasser sah der Jüngling ein Mädchen sitzen, das bittere Tränen vergoß.

"Warum weinst du? Warum läßt du deine Tränen fließen und trübst deine wunderschönen Augen?" fragte der Jüngling.
"Geh fort, laß mich allein. Gleich kommt der Eber, mich zu fressen ... " Und der Jüngling erfuhr, daß der Eber Tag für Tag ein Mädchen fraß. "Fürchte dich nicht", sagte er, "ich lege mich hier nieder, lasse meinen Kopf in deinem Schoß ruhen und schlafe ein wenig. Du aber paß auf und wecke mich, sobald sich der Eber zeigt." Der Sohn des Königs Lachenicht schlief ein. Es verging einige Zeit, da erschien der Eber.

Der kommt

Er kam daher, knirschte mit den Zähnen, und Schaum troff ihm von der Schnauze. Das Mädchen rief den Jüngling, mühte sich, ihn zu wecken, schlug ihn sogar - umsonst, er wachte nicht auf. Da weinte und klagte sie, die Erde glühte vor Mitleid mit ihr. Und eine Mädchenträne fiel auf des Jünglings Wange und brannte darauf wie Feuer. Da erwachte der Jüngling und sprang auf. Er ergriff seinen Bogen, legte den Pfeil an, spannte die Sehne und ließ sie zurückschnellen. Der Pfeil drang dem Eber in die Seite und durchbohrte ihn.Der Eber stürzte und blieb liegen. Der Jüngling trat herzu, schlug dem Eber den Kopf ab, spaltete den Kopf und holte das Kästchen hervor. Im Kästchen waren drei kleine Vögel.

Drei kleine Vögel im Kästchen

Zuerst riß der Jüngling dem Vogel der Kraft den Kopf ab, dann dem Vogel des Verstandes. Den Seelenvogel aber ließ er am Leben und nahm ihn mit sich.

Der Ekle Dew befand sich unterdessen auf der Jagd. Mit einemmal spürte er, daß dem Eber ein Unglück zugestoßen war, und wollte ihm zu Hilfe eilen. Der Jüngling aber hatte bereits den Eber getötet und dem Vogel der Kraft den Kopf abgerissen. Und als der Jüngling auch dem weißen Vogel den Kopf abgerissen hatte, verlor der Dew den Verstand und schleppte sich nur noch mit Mühe und Not zu seinem Turm. Am Eingang brach er kraftlos zusammen.

Die Frau erblickte ihn und stieg hinab; sie setzte sich neben ihn und fragte:

"Was hast du, mein Leben, was ist dir zugestoßen?"

Da kam auch schon der Sohn des Königs Lachenicht herbei und schrie den Dew an:
"Was wälzt du dich hier herum, du Hund! Sprich, wie kann man die Heere, die du zu Stein gemacht hast, wieder zum Leben erwecken?"

"Steig in den Turm hinauf, dort findest du drei Peitschen: eine weiße, eine rote und eine schwarze. Mit der schwarzen Peitsche schlag auf das schwarze Heer, mit der roten auf das rote und mit der weißen auf das weiße. Sie werden wieder lebendig werden und dir in Treue dienen."

"Sag mir das Zauberwort!" befahl der Jüngling.

Der Dew sagte auch das Zauberwort.

"Und wo hast du all deine Schätze?" fragte der Jüngling.

"Nimm diesen Schlüssel, öffne damit das letzte Zimmer, dort findest du mein Leben und all meine Schätze", sagte der Ekle Dew. Der Sohn des Königs Lachenicht ging hin, schloß die Tür zum letzten Zimmer auf und schaute hinein. Drei Schlangen waren darin. "Ah, der kommt uns wie gerufen!" sagten die drei Schlangen zueinander, als sie des Jünglings ansichtig wurden. Der Jüngling erschrak und sagte: "Wartet ein wenig, ich bin gleich wieder da." Schnell ging er hinaus und schloß die Schlangen ein.

Er kam zurück zum Dew.

"Hast du mich zu diesen verfluchten Schlangen geschickt, damit sie mich fressen?" "Nein", sagte der Dew, "geh und öffne das und das Zimmer, dort sind viele Perlen und Edelsteine; die Schlangen aber tun dir nichts, wenn sie die rote Peitsche in deiner Hand sehen. Pack ihnen alles auf und treibe sie vor dir her."

Der Jüngling ging und öffnete jenes Zimmer, trug viele Perlen und Edelsteine zusammen. Dann steckte er die Granatäpfel ein und begab sich auf die Suche nach seinen Brüdern.

Er kam zu dem Kreuzweg mit dem Stein und setzte sich nieder, um auszuruhen. Bald fanden sich auch die älteren Brüder ein.

Der jüngste Bruder holte die Granatäpfel hervor und gab jedem einen davon.

"Wir haben nur kleine Granatäpfel gefunden, er aber diese großen", sagten sie zueinander voller Neid und beschlossen, ihn zu verderben.

Die drei Brüder machten sich auf den Heimweg. Unterwegs bekamen sie Durst. Es gab nur einen Zauberbrunnen, der wurde Bulach genannt. Die Brüder gingen zu dem Bulach, um Wasser daraus zu schöpfen. Als ersten ließen sie den ältesten Bruder in den Brunnen hinab. Kaum war er ein Stückchen unten, rief er:

"Zieht mich heraus, zieht mich heraus, ich brenne!"

Sie zogen ihn heraus.

Nun ließen sie den zweiten hinab, aber auch der schrie und wurde wieder herausgezogen.

Bevor sie den jüngsten Bruder hinabließen, sagte der:

"Soviel ich auch schreie ,Ich brenne!', laßt mich nur immer tiefer hinab."

Er kam unten an, trank sich satt, schöpfte auch für die Brüder Wasser und schlang sich dann das Seil um den Leib, damit sie ihn herausziehen konnten. Die Brüder begannen ihn herauszuziehen, auf halbem Wege aber durchschnitten sie das Seil, und der jüngste Bruder stürzte tief hinunter auf den Grund.

Die beiden älteren Brüder brachten dem Vater die Granatäpfel.

"Wo ist euer Bruder?" fragte der Vater.

"Wir wissen es nicht und haben ihn nicht gesehen!" antworteten sie.

"Was habt ihr denn gesehen?" fragte der Vater.

"Wir haben nichts gesehen", sagten die Brüder.

"Was hast du gesehen?" fragte der Vater den ältesten Sohn.

"Ich habe nichts gesehen", antwortete der älteste.

"Und was hast du gesehen?"

"Ich habe auch nichts gesehen", sagte der zweite Sohn. Da wurde König Lachenicht zornig. Er befahl seinen Ratgebern, sofort Leute auszuschicken, den jüngsten Sohn zu suchen.
Die Leute suchten und suchten. Lange mußten sie suchen, und schließlich fanden sie ihn tot im Bulach. Sie holten ihn herauf und brachten ihn heim. König Lachenicht nahm ein geweihtes Tüchlein, strich damit über das Gesicht des Sohnes, und der Sohn wurde wieder lebendig.
Da lachte der König Lachenicht. Von seinem Lachen erbebte die Erde, der Himmel aber öffnete sich und ließ Gold und Silber nur so herunterregnen.

König Lachenicht fragte seinen Sohn:

"Wo hast du deine Granatäpfel?"

"Ich weiß nur, ich habe sie mitgenommen", antwortete der Jüngste.

"Was aber hast du unterwegs gesehen, lieber Sohn?" fragte der König.

Der Sohn erzählte alles, was er gesehen hatte.

"Auf meinem Wege stand ein schwarzes Heer, ganz versteinert, nach diesem ein rotes, dann ein weißes. Ich ging daran vorbei und sah einen Turm, dessen Zinne bis in den Himmel ragte und der drei Fenster hatte. Am Fuße jenes Turmes stand ein Granatapfelbaum, und von diesem Baum habe ich die Granatäpfel gepflückt."

"Und hast du dort auch eine Frau gesehen?" fragte der König.

"Ich habe sie gesehen", antwortete der Sohn.

Da sagte der König:

"So höre denn, mein Sohn, warum ich Lachenicht heiße. Jene Frau ist mein Weib, das mir der Ekle Dew geraubt hat. Auch die drei Heere, das schwarze, das rote und das weiße, gehören mir. Der Ekle Dew hat sie versteinert. Wie sollte wohl der noch lachen können, der so viel verloren hat?"

Da erhob sich der Jüngling. Er eilte zu dem Turm tötete den Eklen Dew, befreite seine Mutter und nahm auch die drei Peitschen. Er schlug mit der ersten und erweckte das erste Heer zum Leben, er schlug mit der zweiten und erweckte das zweite Heer und mit der dritten das dritte Heer. Dann kehrte er glücklich nach Hause zurück.

Dem einen Weizen und ein Fest,
dem andern Kleie und die Pest.