Anderthalb Handvoll wird verhauen

Anderthalb Handvoll

Es lebten einmal zwei Männer, die hatten ein Kesselchen, hatten wohl auch Bohnen, aber Salz hatten sie keins. Da sagte der eine zu dem anderen:

„Wir können so keine Bohnen kochen. Geh in die Stadt und kaufe anderthalb Handvoll Salz."

„Ich werde es vergessen, wie soll ich mir das wohl merken?" erwiderte der andere.

„Du mußt im Gehen vor dich hin sagen: ,Anderthalb Handvoll, anderthalb Handvoll', dann wirst du es nicht vergessen."

Der Mann ging also in die Stadt, Salz zu kaufen.

Er ging und sah einen Bauern, der hatte sein Feld umgepflügt und war nun dabei, zu säen. Der Bauer sprach vor sich hin: „Tausend auf eins, tausend aufeins." Der andere aber sagte im Vorbeigehen: „Anderthalb Handvoll, anderthalb Handvoll."Der Ackersmann ärgerte sich und rief:

„Ich bitte, daß aus einem Korn tausend wachsen sollen, du aber sagst: anderthalb Handvoll!"

Er packte ihn und verprügelte ihn gehörig. Nachdem er ihn verprügelt hatte und der Zorn ihm aus dem Herzen gewichen war, ließ er den Mann gehen.

Der fragte:

„Warum hast du mich verprügelt?"

„Weil du ,anderthalb Handvoll' gesagt hast."

„Was hätte ich denn sagen sollen?"

„Tausend auf eins, tausend auf eins. Dann hätte ich dich nicht verprügelt, sondern mich noch bei dir bedankt."

„Anderthalb Handvoll" ging weiter. Er ging durch ein Dorf, da kam ihm ein Leichenzug entgegen. Er rief: „Tausend auf einen, tausend auf einen!" Die Verwandten des Toten packten und verprügelten ihn. Nachdem sie ihn verprügelt hatten und es ihnen leichter ums Herz geworden war, ließen sie ihn laufen.

„Warum habt ihr mich verprügelt?"

„Weil du gesagt hast: tausend auf einen."

„Was hätte ich denn sagen sollen?"

„Du hättest zu uns treten, die Mütze abnehmen und sagen sollen: ,Möge dies Unglück das erste und das letzte sein in eurer Familie.' Wir hätten uns bei dir bedankt und dich in Ehren geleitet."

„Anderthalb Handvoll" ging weiter. Unterwegs traf er auf einen Hochzeitszug. Er nahm die Mütze ab und sagte: „Möge dies Unglück das erste und das letzte sein in eurer Familie!" Er wurde gepackt, niedergeworfen und ordentlich durchgewalkt. Nachdem sich die Hochzeitsgäste so ihr Herz erleichtert hatten, ließen sie ihn gehen.

Der arme Salzkäufer trat beiseite und fragte:

„Warum habt ihr mich verprügelt? Was hab ich euch getan? Man hat mich diese Worte gelehrt, was hätte ich sonst sagen sollen?"

„Du hättest herantreten, deine Mütze abnehmen und rufen sollen: ,Es lebe das Hochzeitspaar! Es lebe das Hochzeitspaar!' "

Der verprügelte „Anderthalb Handvoll" schleppte sich weiter, nur noch mit Mühe brachte er ein Bein vors andere. Er ging und überlegte, was er tun und was er sagen sollte, falls ihm wieder jemand begegnete.

Er ging weiter und sah einen Jäger, der Tauben beschlich und schon den Hahn gespannt hielt; jeden Augenblick konnte der Schuß losgehen. Da riß „Anderthalb Handvoll" die Mütze vom Kopf, rannte zum Jäger hin und schrie: „Es lebe! Es lebe!"

Die Tauben flogen auf und davon.

Der Jäger fuhr hoch, stürzte sich zähneknirschend auf den armen Salzkäufer und schlug ihn mit dem Kolben über den Rücken. Er schlug und schlug; es fehlte nicht viel, und er hätte ihm die Seele aus dem Leibe geprügelt. Mehr tot als lebendig fragte „Anderthalb Handvoll" mit letzter Kraft:

„Warum hast du mich geschlagen? Was hätte ich sagen, was hätte ich tun sollen?"

Der Jäger sagte:

„Du hättest keinen Ton von dir geben, hättest dich ducken und unbemerkt, ganz heimlich, vorbeischleichen sollen. Dann hättest du die Tauben nicht aufgescheucht, und ich hätte dir nichts getan."Der unglückliche „Anderthalb Handvoll" schleppte sich weiter.

Vier Männer aber hatten einen Beutel voll Geld verloren und suchten auf der Erde danach. „Anderthalb Handvoll" sah sie, duckte sich und wollte möglichst unbemerkt an einem Flechtzaun entlang davonschleichen. Jene aber entdeckten ihn, liefen auf ihn zu und ergriffen ihn:

„Ach, du Taugenichts, du hast das Geld gefunden und versteckst dich nun? Willst ausreißen?!" Und sie hieben auf den Ärmsten ein.

Sie prügelten und prügelten ihn und haben ihn so verprügelt, daß ihn seine Füße nicht mehr heimtrugen.

Dem einen Weizen und ein Fest,
dem andern Kleie und die Pest.