Der Rabe und der Bauer

Die Geschenke des schwarzen Raben

Mag es wahr sein oder nicht, einmal lebten ein Mann und eine Frau. Sie waren sehr arm. Eines Tages ging die Frau zu den Nachbarn und bat um Weizen. Ein jeder gab ihr eine Handvoll, und so hatte sie bald einen ganzen Korb zusammen.

Geh hin", sagte die Frau zum Mann, „säe den Weizen. Wer weiß, am Ende gibt es eine gute Ernte, und wir brauchen nicht mehr so zu hungern." Der Mann ging hinaus und arbeitete den ganzen Tag, pflügte das Feld und bestellte es. Die Saat ging so üppig auf, daß sich alle wunderten. Als es Zeit zum Ernten war, ergriff der Arme die Sichel und ging hinaus, um zu schneiden. Er kam zum Feld und sah, daß die Vögel aus der ganzen Welt herbeigeflogen waren, auf dem Felde hockten und das Korn fraßen. Der Arme ärgerte sich, beschimpfte und verfluchte die Vögel. Auf einmal kam ein schwarzer Rabe aus dem Vogelschwarm zu ihm geflogen und sagte:

„Diese Vögel sind meine Gäste. Ich habe sie eingeladen, und wenn du mich nicht vor ihnen verunglimpfst, so will ich dir drei Wünsche erfüllen und dir geben, worum du auch bittest."

Der Bauer war einverstanden und ging nach Hause.

„Wo ist das Getreide?" fragte die Frau.

„Es ist noch nicht reif", sagte der Mann zu seiner Frau.

Die Zeit verging.

„Warum gehst du nicht hinaus zum Schneiden fragte die Frau.

Da gedachte der Mann des schwarzen Raben, und er beschloß, hinzugehen und ihn um ein Entgelt für den Weizen zu bitten. Er ging, ohne zu wissen, wo er das Haus des schwarzen Raben suchen sollte. Wie er so ging, begegnete ihm die Großmutter eines Dews. Die Großmutter ließ ihre Spindel fallen. „Heb sie mir auf, mein Sohn, ich kann mich nicht bücken", bat sie. Er hob die Spindel auf und reichte sie ihr.

„Wo gehst du hin?" fragte die Großmutter.

Da erzählte er ihr, wie es ihm ergangen war.

Die Großmutter sagte:

„Dein Glück, Söhnchen, daß du mich getroffen hast; nie hättest du sonst den Weg zum schwarzen Raben gefunden. Geh immer geradeaus, bis es Abend wird. Dann bleib stehen, da wird der schwarze Rabe von selber zu dir kommen. Er wird dich in sein Haus führen, wird dir viel Gold, Silber und Edelsteine bringen und sagen: Nimm dir davon, soviel du tragen kannst. Du aber antworte: Ich will nichts haben, außer deiner Handmühle."

„Gut", sagte der Mann, „ich will deinen Rat genau befolgen."

Er ging, bis es Abend wurde. Da blieb er stehen und wartete. Plötzlich kamen schwarze Raben auf ihn zu, führten ihn ins Haus, setzten ihn auf einen Teppich, breiteten Gold, Silber und Perlen vor ihm aus und sagten:

„Nimm davon, soviel du aufzuheben vermagst."

„Ich brauche weder Gold noch Silber, weder Perlen noch Edelsteine", sagte der Arme. „Gebt mir eure Handmühle."

Die schwarzen Raben wollten und wollten nicht, aber es blieb ihnen nichts weiter übrig - ein gegebenes Wort darf man nicht brechen -, sie gaben ihm die Handmühle. Der Arme nahm die Mühle und trug sie mit sich fort. Sie war aber so schwer, daß ihm der Schweiß nur so von der Stirn tropfte. Da hat mich doch diese dumme Alte betrogen! dachte er. Warum hat sie mich nur ins Unglück gestützt? So viel Gold und Silber hat man mir geboten, ich aber hab die Mühle genommen und muß nun schwitzen! Wozu brauch ich sie schon? Als hätten wir nicht genug davon in unserem Dorf! Er schleppte die Mühle und schimpfte dabei vor sich hin; ihm entgegen aber kam die Großmutter.

„Stell die Mühle hin und drehe", sagte sie.

Der Arme drehte, da streute die Mühle die besten Speisen, die es in der Welt gibt, auf die Erde. Sie setzten sich und aßen nach Herzenslust. Der Arme bedankte sich bei der Großmutter und trug die Mühle heim. Zu Hause angekommen, sagte er zu seiner Frau: „Schnell, räum alles schön auf."

Die Frau fegte aus und machte Ordnung.

Er drehte die Mühle, und Speisen kamen heraus. Die Frau freute sich, und sie setzten sich zu Tisch, sie aßen, soviel sie konnten, das übrige warfen sie weg. Mann und Frau lebten von nun an ohne Not. Der Mann aber freute sich und dachte: Die Handmühle wird uns ernähren, ein zweites Mal brauche ich nicht zu den schwarzen Raben zu gehen.

Viel Zeit war vergangen, da sagte der Bauer:

„Ich kann's nicht lassen, ich muß einmal den König einladen."

Die Frau sagte darauf:

„Warum sollen wir ausgerechnet den König einladen?"

Der Mann aber lud den König doch ein.

Der König nahm die Einladung an. „Aber wehe dir", sagte er, „wenn du mich schlecht bewirtest."

Der König kam mit seinem ganzen Heer und all seinen Dienern.

Der Tisch wurde gedeckt, man brachte ihm die herrlichsten Speisen, wie man sie sich nur wünschen konnte. Da schickte der König seine Ratgeber aus, um zu erfahren, wer diese Speisen bereitete. Die Ratgeber kamen zurück und berichteten, daß draußen eine Alte säße, eine Handmühle drehe, woraus alle Speisen fertig herauskämen.

Die Bauersleute mit der Wundermühle

Als der König das hörte, aß er nichts mehr, nichts wollte er mehr anrühren.

Der Arme erschrak und fragte die Ratgeber:

„Warum ißt der König nicht mehr?"

Sie sagten ihm, daß der König die Mühle haben wolle, wenn anders, würde er nicht mehr essen. Was blieb dem Armen weiter übrig? Er mußte nachgeben.

„Möge er nur geruhen zu speisen, ich gebe ihm die Mühle."

Der König nahm die Mühle mit, und der Arme mußte wieder hungern.

Die Frau aber ergriff ein so furchtbarer Zorn, daß sie am liebsten ihren Mann erwürgt hätte. Da fiel dem Armen das Versprechen des Raben ein, und er dachte: Drei Wünsche wollte er mir erfüllen, ich aber war erst einmal bei ihm. Ich will nochmals zu ihm gehen. Wieder begegnete ihm die Großmutter.

„Wo gehst du hin, mein Sohn?" fragte die Großmutter.

Er erzählte ihr alles. Da sagte die Großmutter:

„Wenn du hinkommst, nimm weder Gold noch Silber, weder Perlen noch Edelsteine, sag: ,Ich will nichts, außer eurem Esel.' "

„Gut", sagte der Mann, „ich werde deinen Rat befolgen."

Der Arme erreichte das Haus der schwarzen Raben. Die schwarzen Raben kamen heraus, führten ihn ins Haus, hießen ihn willkommen, bewirteten ihn und breiteten Gold, Silber, Perlen und Edelsteine vor ihm aus.

„Nimm dir, was dein Herz begehrt."

„Ich will nichts von alledem", sagte er, „gebt mir euren Esel."

Den Raben wurde bange, sie sagten sich, wovon sollen wir leben, wenn wir ihm den Esel geben? Aber was half's? Ein gegebenes Wort darf man nicht brechen. Sie gaben ihm den Esel. Wie der Mann so ging, dachte er: Diesmal hat mir die Alte gewiß bös mitgespielt; da habe ich diesen Esel gewählt, der nichts ist als Haut und Knochen. Was nützt mir der? So ging er des Weges, und wieder traf er die Großmutter. Sie sagte zum Esel:

„Nun schrei und überschütte ihn mit Gold!"

Der Esel schrie und schüttete so viel Gold über den Bauern, daß dieser gar nicht mehr zu sehen war.

Die Bauersleute und der Goldesel

„Und nun zieh ihn wieder darunter hervor", befahl die Großmutter. Der Esel schlug mit den Hufen, scharrte das Gold auseinander und zog den Bauern heraus. Der Arme freute sich, dankte der Großmutter und zog mit seinem Esel heimwärts. Zu Hause angekommen, sagte er:

„Gib mir etwas zu trinken, Alte."

Die lief zum Brunnen, holte frisches Wasser und reichte es ihm. Der Bauer trank sich satt, drehte sich zum Esel herum und sagte:

„Und nun schrei und stell mir ein Haus auf mit sechzehn Fenstern."

Der Esel schrie, und schon stand das gewünschte Haus da.

Wieder führte der Bauer mit seiner Frau ein glückliches Leben ohne Not, und wieder lud er den König zu Gast. Der König aber verlangte den Esel für sich, und der Arme mußte ihn hergeben. Der König ging fort, die Alte aber fiel über ihren Mann her und verprügelte ihn.

„Gleich gehst du zu den Raben und bittest sie um ein Geschenk."

Wieder machte sich der Alte auf den Weg. Er ging und ging und begegnete der Großmutter.

„Wo gehst du hin?"

„Zu den schwarzen Raben."

„Nimm nichts, außer dem Keulchen", sagte die Großmutter.

Der Arme ging zum Haus der schwarzen Raben. Die schwarzen Raben kamen zu ihm heraus, führten ihn ins Haus, begrüßten ihn, bewirteten ihn und breiteten Gold, Silber, Perlen und Edelsteine vor ihm aus. Der Bauer wies alles zurück und bat nur um das Keulchen.

Die Raben erschraken, erfüllten ihm aber seine Bitte. Der Bauer machte sich mit dem Keulchen auf den Heimweg und dachte: Was mag wohl für ein Wunder darin stecken? Er ging und ging, ihm entgegen aber kam die Großmutter.

„Nun", sagte die Großmutter, „tummle dich, Keulchen, totzuschlagen brauchst du ihn nicht gerade, erteil ihm aber eine gehörige Lehre dafür, daß er so gar keinen Verstand hat."

Das Keulchen sprang auf den Bauern zu und verprügelte ihn dermaßen, daß er Mühe hatte, sich nach Hause zu schleppen.

Zu Hause angekommen, sagte er zum Keulchen :

„Tummle dich, Keulchen, und erteil meiner Alten eine gehörige Lehre."

Das Keulchen sprang auf die Frau zu und verprügelte sie.

Knüppel haut Frau

Am anderen Tag nahm er das wunderbare Keulchen und ging damit zum König. Die Höflinge aber wollten ihn nicht einlassen.

„Nun, mein Keulchen", sagte der Bauer, „tummle dich und züchtige sie gehörig!"

Das Keulchen sprang zu und verprügelte alle, bis keiner mehr auf den Beinen stand.

Da ging der Bauer hinein in den Palast und schnurstracks zum König. „Gib mir meine Mühle und meinen Esel zurück!"

Der König ergrimmte und befahl:

„Werft ihn hinaus!"

Da sagte der Bauer zum Keulchen:

„Nun, mein Keulchen, wenn du kannst, zeig deine Kraft!"

Das Keulchen sprang auf den König zu, der aber heulte und schrie:

„Gebt ihm die Mühle und den Esel und tut noch Geld dazu, er soll nur machen, daß er recht schnell fortkommt mit seinem Keulchen!"

So holte sich der Bauer die Mühle und den Esel zurück und brachte auch noch viel Geld mit nach Hause.