Die bösen Schwägerinnen

Es waren einmal fünf Brüder und eine Schwester. Die Brüder liebten ihre Schwester über alle Maßen, mehr noch als das Leben. Sie verheirateten ihre Schwester, aber bald darauf starb der Mann, und sie blieb mit zwei Söhnen allein zurück. Da nahmen die Brüder ihre verwitwete Schwester und die beiden Söhne zu sich ins Haus und behüteten und versorgten sie so, daß sie ihre Witwenschaft nicht spürte, keine Not kannte und alles im Überfluß hatte. Kleider und auch Essen.

Die Frauen der Brüder aber neideten es ihr und ärgerten sich, daß ihre Männer die Schwester so liebten und verwöhnten.

Nun sich der Neid aber ihrer Seelen bemächtigt hatte, trugen sie sich nur noch mit dem Gedanken, wie sie wohl Zwietracht säen könnten zwischen den Brüdern und der Schwester. Bald redeten sie der Witwe dieses nach, bald jenes, doch es war vergeblich. Nichts focht die Liebe der Brüder zu ihrer Schwester an. Da ergriffen die Frauen der Brüder deren besten und liebsten Büffel, führten ihn in den Stall und schlachteten ihn dort. Dann kamen sie heraus und sagten zu ihren Männern:

„Seht nur, was eure liebe Schwester angerichtet hat. Den besten Büffel hat sie geschlachtet!"

Die Brüder zuckten nicht mit der Wimper.

„Hat sie ihn geschlachtet, nun, so hat sie ihn eben geschlachtet. Mag er alles Leid von ihr nehmen."

Die Frauen aber ärgerten sich, daß ihnen diese List nichts genützt hatte. Da nahmen sie das beste Pferd und töteten es. Darauf gingen sie zu ihren Männern und verleumdeten die Witwe.

„Seht nur, was eure liebe Schwester angerichtet hat. Das beste Pferd hat sie getötet!"

Die Brüder aber ließen sich nicht beirren.

„Und wenn schon, hat sie es getötet, so ist's eben geschehen. Wenn wir nur leben und gesund sind, was liegt schon am Vieh! Wir haben es doch selber aufgezogen."

Da gerieten die Frauen in Wut. Und sie ersannen eine unerhörte Missetat, um die verhaßte Witwe loszuwerden.

Gegen Mitternacht, als alle schliefen, stand die älteste Frau auf, schlich zu dem Bett ihres Sohnes und tötete ihn, das blutige Messer aber steckte sie der Witwe heimlich in die Tasche.

Der Morgen kam, und ein jeder ging an seine Arbeit. Das tote Kind aber lag mit der Decke zugedeckt im Bett, als schliefe es.

Als die Sonne aufgegangen war, trat der älteste Bruder ins Zimmer, um etwas zu holen. Da sah er das Kind noch im Bett liegen und sagte zu seiner Frau: „Sieh einmal nach, Ob das Kind nicht krank ist, es schläft gar so lange." Die Frau antwortete :

„Ach, was soll ihm schon fehlen? Es schläft nur tief, laß es schlafen, wär' schade, es zu wecken."

Sie warteten noch eine Weile, aber der Knabe wachte nicht auf. Da gingen sie hin zu ihm, schlugen die Decke zurück und sahen, daß er tot dalag.

Die Frau stieß einen Schrei aus und fiel wie ohnmächtig zur Erde. Man mühte sich, sie wieder zur Besinnung zu bringen. Als sie zu sich kam, schrie sie und wehklagte, raufte sich das Haar und schlug sich an die Brust.

Man suchte nach dem Mörder.

Da sagte die Frau: „Durchsucht alle, und bei wem sich das blutige Messer findet, der ist der Mörder."

Auch die Witwe war da. Sie weinte jammervoll, weil sie den Neffen verloren hatte, und ahnte nicht, welches Unheil ihr drohte.

„Laßt uns überall nachsehn und suchen, ihr Lieben", sagte auch die arme Schwester, „vielleicht finden wir den Mörder."

Sie durchsuchten alle, bei keinem fand sich das Messer, da kam die Reihe an die Witwe, und in ihrer Tasche fanden sie das blutige Messer. Das Herz stockte der Unglücklichen, sie weinte, beschwor ihre Unschuld. Niemand glaubte ihr. Die älteste Frau aber fiel kreischend über ihren Mann her.

„Du unseliger, mit Blindheit geschlagener Mann, begreifst du endlich, was für eine Schwester ihr habt? Wie habt ihr sie behütet, keiner Klage geglaubt, alles ihr nachgesehen. Den Büffel hat sie geschlachtet, das Pferd getötet, alles durfte sie ungestraft tun, und nun hat sie dir gar den Sohn ermordet. Rauf dir jetzt das Haar und schrei, sicher wird davon der Gram geringer!"

Zorn ergriff die Brüder, sie blendeten die Schwester und trieben die unglückliche Blinde vor sich her. Sie trieben sie weit ab von ihrem Haus bis zu dem Ufer eines Flusses und ließen sie dort mit ihren beiden Söhnen zurück. Die Blinde saß am Fluß, weinte und klagte und umarmte ihre Kinder, die Waisen. Kein Stück Brot hatten die Unglücklichen und kein Dach über dem Kopf.

Die blinde Mutter mit ihren Kindern am Fluß

Was tun? Da machten sich die Kinder kleine Angelruten und begannen zu fischen.

Biß ein Fischlein an; zogen sie es heraus, brieten es am Feuer und aßen es. Davon lebten sie. Nur Salz fehlte ihnen, und darum sagten die Kinder: „Liebe Mutter, wir sehn dort Hirten ihre Schafe weiden. Wir wollen hingehn und sie um Salz bitten, vielleicht geben sie uns etwas." Die Mutter ließ sie gehen. Die Kinder sprangen davon, bekamen Salz und brachten es der Mutter.

Sagte die Mutter :

„Laßt mich prüfen, Kinder, ob es auch wirklich Salz ist."

Die Kinder reichten ihr das Salz, und weil sie nicht sehen konnte, nahm sie ein paar Körnchen in den Mund und kostete. Tatsächlich, es war Salz. Sie sagte :

„Ja, Kinder, das ist Salz. Streut davon auf den Fisch und röstet ihn dann." Wieder einmal fischten die Kinder und fingen einen großen Fisch. Da freuten sie sich.

„Der eine Fisch wird uns alle drei satt machen", sagten sie und wollten ihm schon den Bauch aufschneiden. Da sprach der Fisch:

„Laßt mich frei, ich werde es euch mit Gutem vergelten."

Die Kinder erschraken, liefen zur Mutter und sagten:

„Mutter, wir haben einen großen Fisch gefangen, der aber spricht mit Menschenstimme und bittet, wir sollen ihn freilassen, Er will es uns mit Gutem vergelten. Was sollen wir tun? Sollen wir ihn freilassen oder doch lieber rösten? Die Mutter verwunderte das sehr, sie sagte aber: „Laßt ihn frei, Kinder."

Da trugen die Knaben den Fisch fort und ließen ihn ins Wasser.

Sprach der Fisch:

„Bleibt stehen, wo ihr mich ins Wasser gesetzt habt, und wartet, bis ich zurückkomme." Sagte es und schwamm davon.

Die Kinder standen da und warteten.

Es verging einige Zeit. Da kam der Fisch geschwommen, warf zwei Augäpfel ans Ufer und sagte: „Nehmt sie, legt sie eurer Mutter in die Augenhöhlen, und sie wird wieder sehend."

Sagte es, schlug das Wasser mit dem Schwanz und schwamm davon.

Die Kinder nahmen die Augäpfel, brachten sie der Mutter, legten sie ihr in die Augenhöhlen, und die Mutter ward wieder sehend.

Sie freute sich, umarmte und küßte die Kinder.

Von nun an blieben sie an dem Flüßchen, bauten sich ein Häuschen und lebten darin.

Die Söhne wuchsen heran, und sie arbeiteten fleißig tagaus, tagein. So nach und nach kauften sie sich auch zwei Büffel. Nun ackerten und säten sie. Und so reich war ihre Ernte, daß sie nicht nur selber satt wurden, sondern auch noch übrig hatten. Sie verkauften einiges davon, erwarben sich von dem Erlös, was sie brauchten, und lebten von nun an ohne Not.

Da geschah es, daß dort, wo die fünf Brüder lebten, eine Mißernte war und alle hungern mußten. Den Brüdern aber kam es zu Ohren, daß in dem und dem Ort, bei den und den Leuten Getreide vorrätig sei, und sie beschlossen, welches zu holen.

Der älteste Bruder versah sich mit Geld und fuhr los, Getreide zu kaufen. Er kam zu seiner Schwester, aber er erkannte sie nicht, denn nie und nimmer hätte er geglaubt, daß sie und ihre Kinder, die Waisen, noch am Leben waren. Die Schwester aber erkannte den Bruder. Und sogleich begann ihr Herz ungestüm zu klopfen.

Der Bruder kaufte Getreide, soviel er brauchte, es wurde ihm zugemessen und aufgeladen.

Die Mutter aber rief ihren ältesten Sohn zu sich, gab ihm einen Ring und sagte :

„Der Mann ist dein Onkel, lieber Sohn. Nimm diesen Ring und lege ihn unbemerkt in des Onkels Tasche."

Der Älteste nahm den Ring und tat, wie ihm geheißen.

Indessen hatte der Bruder sein Korn auf die Arba, den zweirädrigen Karren, geladen und wollte vom Hofe fahren. Da schlug die Mutter Lärm und schickte die Söhne dem davonfahrenden Onkel nach.

„Haltet die Arba an", rief sie, „mein Ring ist weg, sicher hat er ihn gestohlen, es kann kein anderer gewesen sein."

Der Bruder schwur bei Gott, rief Himmel und Erde zu Zeugen an: „Ich habe nicht gestohlen, hab keinen Ring gesehen."

Aber niemand glaubte ihm.

„Kehrt nur um, euren Worten trauen wir nicht. Kommt mit, wir wollen sehen, ob Ihr den Ring nicht bei Euch habt!"

Was tun? Er kehrte zurück ins Haus, die Schwester aber behandelte ihn wie einen Fremden und sagte:

„Ist das recht? Wir haben Euch in Ehren aufgenommen, haben Euch Getreide zugemessen, Ihr aber stahlt meinen Ring wie ein gemeiner Dieb!" Der Bruder schwur aufs neue: „Bei Gott, mein Wort darauf, ich habe noch niemals etwas gestohlen."

„Nun, so durchsucht ihn denn, ob er nicht doch meinen Ring bei sich hat", befahl die Mutter.

Sie durchsuchten ihn. Da rollte aus seiner Tasche der Ring. Aschgrau wurde das Antlitz des Bruders, aber was konnte er tun?

„Gott ist mein Zeuge, daß ich unschuldig bin", sagte er. „Ich bin aber in eurer Gewalt, tut mit mir, was ihr wollt."

„Siehst du nun, Bruder", sagte da die Schwester zu ihm, „so, wie du diesen Ring nicht gestohlen hast, obwohl er bei dir gefunden worden ist, so habe auch ich nicht dein Kind ermordet. Deine Frau hat es getan und mir das blutige Messer in die Tasche gesteckt."

Da umarmten und küßten sie sich. Und die Schwester erzählte dem Bruder alles von sich. Auch, wie sie wieder sehend geworden war und wie sie allein mit den Kindern gelebt hatte. Der Bruder freute sich. Er brachte die Schwester mit ihren Söhnen nach Hause, seine Frau aber übergab er der gerechten Strafe.

Fisch mit Ring